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Zeitgeschichte - spannend, humorvoll und mit vielen HintergründenVorLesung in der Hochschule Harz mit Wibke Bruhns

Ungewohnt nannte Wibke Bruhns den Platz, der ihr zugewiesen wurde. Mitten im Hörsaal waren Tisch und Stuhl aufgestellt worden, einige Meter davor ein großer Bildschirm mit einer Kamera darüber.


Das Publikum saß rechts und links in den Rängen, von wo aus sonst die Studierenden des Fachbereiches Verwaltungswissenschaften die Vorlesung verfolgen. Prof. Rainer O. Neugebauer klärte auf: „In Erwartung eines  großen Ansturms haben wir uns Gedanken gemacht, wie man mehr Besucher an der Veranstaltung teilhaben lassen kann, als der Hörsaal fasst. Für eine Liveübertragung in die Nachbarräume wurde vorhandene Technik eingesetzt und mehrmals erfolgreich getestet.“

Doch es sollte anders kommen. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der 29. VorLesung waren im großen Hörsaal fast alle Plätze besetzt, wenig später war er mit 270 Personen überfüllt. Weitere 120 waren in anderen Räumen platziert worden. Als Wibke Bruhns die ersten Zeilen las, tönte es aus den Rängen: „Zu leise.“ Das Mikrofon wurde neu ausgerichtet.

Durch die Veränderung der Parameter verbesserte sich die Lautstärke, doch damit wurde die Übertragungsqualität bei den Nachbarn wesentlich schlechter. Dort kamen zum guten Bild mehr Nebengeräusche als Bruhns‘ Worte an.

Wie nach der Lesung zu erfahren war, mussten diese Zuhörer deshalb nach Haus geschickt werden. Zum großen Bedauern von Neugebauer und seinen Mitstreitern, die den Abend vorbereitet hatten. „Mit anderer Technik wäre das nicht passiert“, entschuldigte er. Eine Alternative wäre gewesen, 200 Karten zu verkaufen. Doch das habe man nicht gewollt.

Wibke Bruhns begann aus jenem Kapitel zu lesen, in dem sie sich dem „langweiligsten Job, den ich je hatte“ widmet. Mit ihm verbinden heute noch viele ihren Namen. Denn 1971 las sie als erste Frau die Nachrichten im bundesdeutschen Fernsehen und brach damit in eine Männerdomäne ein.

Was heute selbstverständlich ist, war damals eine Sensation und löste zum Teil große Empörung bei den Zuschauern aus. Sie bekam zahlreiche Zuschriften von Frauen wie Männern, die nicht gerade Mut machten. Heute ist sie amüsiert darüber.

Es gefiel ihr nicht, anderer Leute Texte ablesen zu müssen. Immer wieder versprach sie sich, wenn auch „nicht so oft wie später Ulrich Wickert“.
„Ich wollte schon bald weg“, gestand die Journalistin, „doch damit wäre das Experiment Nachrichtensprecherin gescheitert“. Ein Zufall kam ihr zu Hilfe. Gemeinsam mit Günther Grass engagierte sie sich 1972 im SPD-Wahlkampf 1972. „Willy wählen“ hieß die Devise.

Wibke Bruhns war inzwischen prominent, eine öffentliche Frau. „Die Leute kamen nur um zu sehen, ob ich auch Füße habe“, scherzte sie in den Hörsaal. „Es war eine Stimmung, die es nie zu vor und nie mehr danach gegeben hat. Die Bundesbürger interessierten sich für den Staat, dessen Politik und deren Protagonisten und bezogen Position.“ Willi Brandt zog bei den Kundgebungen sehr viele Menschen an und überzeugte. Mit 91 Prozent fiel das Wahlergebnis triumphal aus.Willy Brandt hat sie erstmals bei einer Veranstaltung in der Bonner Beethovenhalle erlebt. Und schon bald sollten sich ihre Wege öfter kreuzen.

Inzwischen Stern-Korrespondentin, begleitete die sozialdemokratisch engagierte Medienfrau den Kanzler bei seinem Staatsbesuch in Israel. Nach einem nächtlichen Vier-Augen-Gespräch in dessen Jerusalemer Hotelsuite wird ihr eine Affäre mit ihm angedichtet.

Ein Gerücht, gegen das sie immer wieder ankämpfen muss und mit dem sie in ihren Buch aufräumt. Mit Willy Brandt sei nie etwas gewesen. „Er sprach und sprach“, schreibt die heute 73-Jährige, „nach anderthalb Stunden stand er auf, ich auch – er küsste mich väterlich auf die Wange.

Ich war entlassen.“ Er habe nur reden gewollt, tritt sie allen anderen Interpretationen dieses Treffens entgegen.

Eindrucksvoll wirkte auf alle ihre Zuhörer die Passage über ihre Recherchen der Osterfeiertage in Jerusalem, die in einer klaustrophobischen Situation in der Grabeskirche endeten. Wortreich und
mit vielen Bildern beschreibt sie die christliche Massenhysterie, die sie auf einer Reise erlebte. Sie erwies sich auch hier als eine sehr gute Beobachterin, die Gesehenes und Gehörtes in solche Worte zu kleiden vermag, dass die Geschichten von Lesern und Hörern nacherlebbar werden.

Nicht ohne Grund gilt sie als eine der bedeutendsten deutschen Journalistinnen. Als sie den Platz vom Lesetisch zum Gespräch mit Rainer Neugebauer auf die Couch wechselte, beantwortete Bruhns unter anderem die Frage nach der Berufswahl. „Ich bin ungeheuer neugierig“, verriet sie, „für mich war es etwas Besonders, durch Türen gehen zu dürfen, die anderen verschlossen bleiben, und dafür noch Geld zu bekommen.“

Auf die Frage aus dem Publikum, ob Journalismus damals anders als heute gewesen ist und was sich geändert hat, erwiderte sie, dass sie die Goldene Zeit des Journalismus erwischt habe, als man noch die Medien und Themen wechseln konnte. „Ich habe alles gemacht.“ Nur Fachjournalistin wollte sie nie werden. Nur einmal hat sie sich aus Neugier in diese Richtung begeben und beschäftigte sich mit Bundeswehr und Nato. Um die Strukturen begreifen und zu ergründen, wie alles funktioniert. Die Recherchen führten sie bis ins Pentagon, wo ihr keine Tür verschlossen blieb.

Seitdem habe sich in der Branche vieles verändert. Es gebe immer noch die Leitmedien wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine oder auch den Stern, die guten und seriösen Journalismus machen, doch viele Verlage zeigen immer weniger Bereitschaft, dafür Geld auszugeben.

In der Zugabe erfuhren die Halberstädter, wie die Autorin durch Zufall an die in den Nachkriegsjahren nach Amerika gelangten Papiere ihres Vaters, des Hitlerattentäters Hans Georg Klamroth, gekommen ist. Prof. Neugebauer überreichte Blumen, eine Cage-Partitur und Plakate von den beiden Bruhns-VorLesungen, dankte ihr für den spannenden und unterhaltsamen Abend sowie für ihr Engagement für das John-Cage-Projekt.

Eines wollte Wibke Bruhns noch loswerden, bevor sie unzählige Bücher signierte. Beim Besuch der Johann-Peter Hinz gewidmeten Ausstellung habe sie festgestellt, dass dort nicht das umfassende Werk dargestellt wird. Sie hofft, dass das in Zukunft noch gelingen möge, weil „Hinz hat es verdient, über die Halberstädter Grenzen hinaus bekannt und beliebt zuwerden".

Gerald Eggert

 

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