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HomeBeim John-Cage-Orgelprojekt ist der 14. Klangwechsel vollzogen worden. Das lockte nicht nur Fans aus der Region nach Halberstadt, sondern auch Cage-Liebhaber aus der ganzen Welt.
Wir sind dabei gewesen: Mit diesem erfüllenden Gedanken konnten am Samstag rund 900 Menschen den Tag ausklingen lassen. Sie waren Augen- und Ohrenzeugen des feierlich vollzogenen 14. Klangwechsels in der Halberstädter Burchardikirche. Einer Zeremonie, die beides war: respektvoll und unterhaltsam zugleich.
Die John-Cage-Fangemeinde ist groß, der 14. Klangwechsel beim Orgelprojekt lockte viele Zuschauer an. Aufgrund begrenzter Zugangsmöglichkeiten in die Burchardikirche wurde der Wechsel der Orgelpfeifen via Videoleinwand nach draußen übertragen.
Seit 2001 wird in der Kirche ohne Unterbrechung das Orgelstück „Organ2/ASLSP“ (As slow as possible, zu deutsch: so langsam wie möglich) des US-amerikanischen Komponisten John Cage aufgeführt. Das gesamte Stück ist für die Dauer von 639 Jahren konzipiert und soll daher im Jahr 2640 enden.
John Cage, der von 1912 bis 1992 lebte, gilt als einer der weltweit einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhundert. Seit 19 Jahren klingen bereits fünf Orgelpfeifen in der Kirche – C‘(16‘), des‘(16‘), dis‘, ais‘ und e‘‘. Am Sonnabend erfolgte nach sieben Jahren wieder ein Klangwechsel: Gis und e‘ kamen diesmal dazu. Das e‘‘ ist übrigens die erste Pfeife, die nach 2009/10 ein zweites Mal erklingt.
Unter der Leitung von Rainer O. Neugebauer, assistiert von Kay Lautenbach, dem Leiter Tontechnik des Nordharzer Städtebundtheaters, vollzogen die „Organisten“ Johanna Vargas und Julian Lembke um Punkt 15.09 Uhr den Klangwechsel.
Beide haben einen engen Bezug zu John Cage und Halberstadt. Der Komponist, Musiktheoretiker, Schlagzeuger und Pianist Julian Lembke nahm mehrfach an den Orchesterwerkstätten junger Komponisten des Nordharzer Städtebundtheaters teil, seine Kammeroper „Rose: rot. Nachtigall: tot“ wurde 2011 in Halberstadt zur Uraufführung gebracht. 2009 gewann er im Rahmen der Orchesterwerkstatt den John-Cage-Preis der Stadt Halberstadt.
Johanna Vargas gewann den 1. Preis beim John-Cage- Wettbewerb 2018. Sie zählt international zu den meistgefragtesten Sopranistinnen für zeitgenössische Musik.
Indem beide nacheinander die neuen Orgelpfeifen eingesteckten, ließen sie die eher zierliche kleine Orgel von bislang fünf auf nunmehr sieben Orgelpfeifen „wachsen“ und setzten ganz praktisch das Motto des diesjährigen Klangwechsels „From Five to Seven“ (von fünf auf sieben) um.
Da aufgrund der Pandemieauflagen die Anzahl der Zuschauer im eigentlichen Kirchenraum begrenzt war, wurde das feierliche Ereignis über eine Videoleinwand auch nach außen übertragen.
Ein Rahmenprogramm in Form von mehreren Ausstellungen im Cage-Haus bietet ausführlich Gelegenheit, sich mit dem Orgelprojekt, der facettenreichen Persönlichkeit von Cage und Wegbegleitern näher zu beschäftigen. So die Fotoaustellung von Ronald Göttel unter dem Titel „Klangzeit“. Der Halberstädter Fotograf hat seit 2005 in einer „Fotoreise“ das Wachsen des John-Cage-Orgel- Kunst-Projektes begleitet.
Neben der Dauerausstellung „Raum für Cage“ im Cage-Haus wurde am Sonnabend die von Georg Weckwerth vom Tonspur-Kunstverein Wien konzipierte und eingerichtete Sonderausstellung „Cage • Curran • Rühm • Schnebel – drawing // installing // writing // composing“ eröffnet. Nach den Worten des Veranstalters „vereint die Schau vier bedeutende Namen der Musik-und Kunstwelt und setzt sie in Beziehung zueinander: John Cage, Alvin Curran, Gerhard Rühm und Dieter Schnebel.
Zu dem perfekt durchchoreografierten Klangwechsel-Event gehörten neben dem intellektuellen Vergnügen ein Catering und ein dicht belagerter Merchandising-Stand, der wahrscheinlich keine Wünsche offen ließ – angefangen von Noten des Meisters bis hin zum Mundschutz mit dem aufgedruckten Logo des Klangwechsels.
„Das Cage-Projekt bringt viele Leute in diese wunderbare kleine Stadt, die sonst vorbeigefahren wären“, lautet das Fazit von Wilhelm Schmid und Astrid Scheld. Die beiden Berliner schätzen an dem „kompo-nierenden Philosophen“ Cage, wie er in seiner Musik einerseits mit Stille, Klang und Zufall und andererseits mit der Zeit als einem Modus der Entschleunigung umgeht.
„Wir gehören zu denen, die der Ewigkeit zugetan sind“, ergänzten die beiden Musikliebhaber, die am Sonntag noch am Orgeltag teilnehmen wollten, am Rande des Klangwechsels.
Das wollte auch Kim Bülow- Bonfelis, ein Webentwickler aus Kopenhagen, der aus Anlass des Klangwechsels zum ersten Mal nach Halberstadt gekommen ist. In seiner Zeit als aktiver Musiker habe er sich intensiv mit Cage und Stockhausen beschäftigt. Felix, Monika und Carla Heller aus Frankfurt/ Main hingegen hat es nach Halberstadt gezogen, weil sie Freude an Kunstprojekten haben, die lange dauern.
Was die Dauer des Projektes anbetrifft, ist Rainer O. Neugebauer nicht so optimistisch. Angesichts drohender Geldknappheit sei es nicht sicher, wie lange das John-Cage-Orgel- Kunst-Projekt weiter bestehen könne. Das ehrenamtlich betriebene Projekt werde allein durch die Stifter von Klangjahren, die bald alle vergeben seien, sonstige Spenden und private Eigenmittel finanziert.
Zwar sei in den vergangenen 20 Jahren fast eine Million Euro für das Projekt eingeworben worden und man habe internationales Renommee und Begleiter finden können. Inzwischen aber sei das Spendenaufkommen rückläufig, so Neugebauer. „Wir hoffen jetzt auf eine dauerhafte öffentliche Förderung“, so der Kuratoriumsvorsitzende.
Text: Renate Petrahn, Halberstädter Tageblatt
Fotos: Ronald Göttel
Rainer Neugebauer im Gespräch mit der Sopranistin Johanna Vargas und dem Musiker Julian Lembke. Beide vollzogen den Klangwechsel: