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Neujahrsempfang Stadt Halberstadt – Rede OB Andreas Henke

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, haben Sie schon einmal von Rusell Conwell gehört oder gelesen? Ich gestehe, bis vor kurzem sagte mir der Name nichts, bis ich die Rezension eines seiner Bücher las.

Conwell war ein Baptistenprediger, Schriftsteller und vor allem ein vielgebuchter Redner.
Eine einzige Rede, die, wie er selbst behauptete, entgegen jeglichen Regeln der Rhetorik entstand. Sein Vortrag „Acres of diamonds“ (Diamantenfelder oder Land der Diamanten) war 1861 zum ersten Mal zu hören. Als Conwell 1925 mit 82 Jahren starb, war er reich wie ein Diamantenhändler nur sein kann – nur, er war keiner, er war ein Redner, der diesen einen Vortrag über 6.000 Mal hielt! Honorare und Tantiemen haben ihm zur damaligen Zeit etwa 8 Millionen Dollar eingebracht.
Worum geht es in diesem Vortrag? Conwell erzählt die Geschichte eines Al Hafed, eines Bauern im alten Persien. Von einem Schriftgelehrten hört Al Hafed zum ersten Mal in seinem Leben von Edelsteinen. Ein einziger, nicht viel größer als dein Daumen, ist zwölfmal so viel wert wie dein Bauernhof. Mit einem Schlag wurde der Bauer ein armer Mann. Arm, weil er plötzlich unzufrieden war – wie Conwell sagte – unzufrieden, weil er dachte, dass er arm sei, trotz seines Besitzes. Er verkaufte Haus, Hof und Felder und begab sich auf die Suche nach Diamanten. Zunächst schürfte er in Persien, dann zog er weiter nach Palästina und Ägypten.
Als er auch dort nichts fand, zog er weiter bis nach Europa. Doch nirgendwo fand er sein Glück, die ersehnten Diamanten. Mit den Jahren hatte er sein Geld aus dem Verkauf des Hofes aufgebraucht und landete eines Tages bettelarm an der spanischen Küste. Er stand auf den Felsen an der Straße von Gibraltar, war so verzweifelt und unglücklich, dass er sich in die tosenden Wellen stürzte und ertrank.
Der Tod dieses glücklosen Helden ist tragisch, aber nicht das Ende der Geschichte, denn der Mann, dem Al Hafed einst seinen Hof verkaufte, führte eines Tages sein Kamel an eine schon halb ausgetrocknete Wasserstelle auf seinem Grund und Boden. Um besser an das Wasser zu kommen, schiebt das Kamel mit seiner Nase den feuchten Sand beiseite. Plötzlich sieht der Mann einen funkelnden Stein im Wasser und findet den ersten von vielen Diamanten auf seinem Feld. Wäre also Al Hafed zu Hause geblieben, hätte er etwas anderes gemacht als weg zu gehen, hätte er auf eigenen Feldern geschürft, er wäre noch reicher geworden, als er ohnehin schon mit seinem Hof war.

Warum habe ich diese Geschichte vorangestellt?
Nicht, um die Tugend des Geldverdienens und Reichwerdens zu preisen. Hinter dieser Geschichte verbirgt sich eine Symbolik, es geht um`s Andersmachen, um reich, besser, erfolgreich zu werden. Chancen und Potentiale, die noch verborgen sind, aber vor den eigenen
Füßen liegen – in der eigenen Stadt, in Ihrem Unternehmen, in der eigenen Praxis, in Ihrem Verein, in Ihren Teams und in den Mitarbeitern und in Ihnen selbst.
Etwas anders machen, um Verborgenes zu fördern und damit Erfolg zu haben. Das Naheliegende nicht vernachlässigen. Genau das war`s, was Al Hafed nicht beachtete und ihn in den Wahnsinn und schließlich in den Tod trieb!

Albert Einstein, der ja ein Zeitgenosse von Russel Conwell war, hat es in seiner empirisch-wissenschaftlichen Art verknappt und in einem Satz verdeutlicht: “Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun, aber andere Ergebnisse zu erwarten.“
Wieviel Wahnsinn in jedem von uns steckt, das soll jeder für sich im Stillen beurteilen. Aber ich bin mir sicher, in dem, was wir sind, haben und tun, liegen noch verdeckte Chancen und Potentiale. Das Eine oder Andere muss nur anders gedacht und angepackt werden und der Wechsel eines Jahres bietet beste Gelegenheit, dies auch anzugehen.
Was nicht heißen soll, das 2014er Jahr wäre ohne Erfolg gewesen. Nein, wahrlich nicht! Es war ein gutes Jahr, hat viel Positives und Schönes für Halberstadt, seine Stadt- und Ortsteile hervorgebracht, was zu sehen und zu erleben war!
In der Hintergrundpräsentation laufen annähernd 170 Fotos. Die Auswahl ist unserem Bereich „Neue Medien“ nicht leichtgefallen. Es gäbe mindestens noch einmal so viel. Wollte ich also alles selbst erwähnen, würde ich Ihre kostbare Zeit und Geduld aufs Äußerste strapazieren. Da sollten wir lieber im Anschluss bei einem Glas Bier oder Wein den Austausch pflegen und darüber sinnieren, was wir anders machen können und wie und mit wem.
Die Grundsatzfrage ist, wieviel Mut haben wir zur Zukunft, zum Andersmachen.
Ich will ein kleines Beispiel geben. Gäste, die nach vielen Jahren erstmals wieder in Halberstadt sind, haben mir schon oft gesagt oder geschrieben: Toll, wie sich Halberstadt verändert hat, es gibt eine Menge zu erleben und entdecken, wir kommen wieder!
Was machen wir daraus, wenn es ums touristische Marketing geht? Die Zahlen der Ankünfte und Übernachtungen bewegen sich annähernd auf einem Level, auch mal mit kleinen Steigerungen, aber trotzdem weit weg von denen benachbarter Städte. Vor der Kriegszerstörung war Halberstadt als die schöne Stadt am Harz bekannt. Seit vielen Jahrzehnten werben wir mit „Halberstadt – Ihr Tor zum Harz“. Das tun übrigens auch Touristiker in Aschersleben, Lautenthal, Osterode und Seesen. Aber mal ehrlich, darin steckt doch schon die Aussage, dass das eigentliche Ziel der Harz ist und Halberstadt nur das Einfallstor, hinter dem man als Reisender mal kurz verschnaufen kann und dann geht’s weiter in den Harz. Wir wollen aber, dass unsere Gäste nicht nur mehr werden, sondern auch länger bleiben, um den bedeutendsten Domschatz des Landes und viele andere Schätze der Stadt zu entdecken. Halberstadt muss nicht immer nur die Zwei-Tage-Reise oder Schlechtwettervariante für Harz-Urlauber sein! Sollten wir also nicht besser werben mit „Halberstadt – die Domstadt am Harz“, „Halberstadt – die Stadt der Schätze, „Halberstadt- Ihre Kultur- und Erlebnisstadt am Harz“ und bieten den Gästen Entdecker- und Erlebnistouren. Wir haben so viel Potential in der Stadt, in den Ortsteilen und der umfassenden Naturlandschaft, in den Hotels, in der Gastronomie, den Kultur- und Freizeiteinrichtungen und den Menschen, die dort arbeiten.
Wir müssen nicht wie Al Hafed Haus und Hof verkaufen, um vermeintlich damit mehr Erfolg zu haben. Das Naheliegende ist voller Potential, wir müssen nur etwas anders machen!
Ein erster Schritt ist getan mit der Präsentation Halberstadts auf der niederländischen Touristikmesse vor einigen Tagen.

Aber vor allem den Kopf hoch nehmen, den Blick nach vorn, selbstbewusst und entschlossen. Wir müssen uns vor nichts und niemanden verstecken, brauchen auch keine Vergleiche scheuen.
Halberstadt hat in den zurückliegenden 24 Jahren einen Wandlungsprozess erlebt, der seinesgleichen sucht. Darauf dürfen wir stolz sein und das auch nach außen verkünden, damit können wir werben.
Sicher haben wir in Halberstadt neben starken Seiten auch schwache, sicher ist noch nicht alles perfekt, wartet das Eine oder Andere noch auf Erledigung. Es gibt Aufgaben und Herausforderungen, vor denen viele andere Städte auch stehen. Die haben wir in Politik und Verwaltung erkannt, mit vielen gesellschaftlichen Akteuren diskutiert, klar umrissen und als Ziel im Integrierten Stadtentwicklungskonzept festgeschrieben.
Dahin zu kommen war ein langer Weg, aber er hat sich gelohnt, umso mehr, weil dieses Konzept kein Papiertiger ist, weil wir damit arbeiten und es vor allem abarbeiten. Stadträte, das ist zu würdigen, beziehen sich immer wieder auf dieses Konzept als Richtschnur und Messlatte.
Man könnte fast sagen, ähnlich wie die meisten Lebensmittel ist auch die Umsetzung unseres Zielekataloges mit Zusatzstoffen konserviert, bei uns sind das E 1, E 2 und E 3:
Erkennen, Erfassen, Entwicklung steuern.
Stadt- und Ortsteilentwicklung ist längst nicht mehr nur die städtebauliche Gestaltung, sondern Auseinandersetzen mit allem, was zum Erscheinungsbild gehört, was die Struktur ausmacht, Historie und Kultur prägt und einen Ort – unsere Stadt – lebenswert macht.

Nochmal ein Schwenk zu den Touristen: Wer Baukultur, historische Architekturstile pflegt und gleichzeitig zeitgemäße Akzente setzt, der sorgt für Aufmerksamkeit, für Interesse bei Gästen, bei potentiellen Zuwanderern und schafft Perspektiven zum Bleiben.
Die Altstadtsanierung und Belebung der vergangenen Jahre ist durch verschiedene Eigentümer auch 2014 fortgeführt. Mit Freude haben wir positive Veränderungen wahrnehmen können, Am Kulk, in der Gröperstraße, in der Bakenstraße, Unter der Tanne, Am Grudenberg, in der Judenstraße, Am Torteich oder am Abtshof, um einige zu nennen.
Aber auch an anderen markanten Stellen gab es tolle Veränderungen: mit dem Spielemagazin der Hawoge am Ebereschenhof, das mit mittlerweile über 27.000 Besuchern seit der Eröffnung die vorangegangenen Mühen belohnt, dem Haus des Friedens an der Ecke Friedrich-Ebert-Thomas Müntzer-Straße – eine Privatinitiative - oder in der Minna-Bollmann-Straße, in der Heinrich-Julius-Straße, der Quedlinburger Straße und der Trauteweinstraße, wo die großen unter den Akteuren, die Hawoge und die WGH Stadtbildverbesserung, energetische Sanierung, Barrierefreiheit, Altersgerechtigkeit und Wohnqualität bedarfsgerecht und zeitgemäß vereinen.
Gespannt dürfen wir die Veränderungen in der Kühlinger Straße, auf dem Komplex der ehemaligen Fachschule für Milchwirtschaft bzw. erstem Hochschulstandort oder dem Komplex der ehemaligen Haftanstalt, der nun einen neuen Eigentümer gefunden hat, erwarten. Und selbstredend – voller Hoffnung und Erwartung sind wir bei Themen wie Diesterwegschule, Harzhof, Ortsumgehung und anderen dringenden Straßenbaumaßnahmen. Gerade bei Letzterem bin ich froh, dass wir im vergangenen Jahr in der Kernstadt und den Ortsteilen eine Hand voll erfolgreich fertigstellen konnten.
Das wird 2015 erheblich schwieriger werden, weil das Ausmaß unseres Handelns weniger vom Wollen, dafür mehr vom Können oder besser Nichtdürfen bestimmt wird. Das Verhältnis von Erträgen und Aufwendungen der Stadt lässt keine großen Sprünge zu. Nicht, weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, sondern weil unsere seit Jahren mit Konsequenz gesteuerte Haushaltskonsolidierung unterlaufen wird mit überdurchschnittlichen Tarifsteigerungen, mit einer völlig überflüssigen Änderung des Kinderbetreuungsgesetzes, das den Kommunen hohe finanzielle Mehrbelastungen aufbürdet und gleichzeitig mit einer Änderung des Finanzausgleichsgesetzes erhebliche Zuweisungen streicht, mit rund zwei Millionen Euro weniger Finanzmittel vom Land als im Vorjahr trifft es uns ziemlich hart.
Wenn selbst Spendeneinnahmen einer Stadt dezidiert aufgeführt und dem Land gemeldet werden müssen, weil das Budget der Kommunen dadurch wiederum gekürzt wird, dann zeugt das längst nicht mehr von Konsolidierungspartnerschaft. Alle bisherigen Sparbemühungen werden konterkariert, weil sie automatisch den Finanzbedarf mindern und in der Folge die Finanzausgleichsmasse reduzieren. Es kann nicht sein, dass der Haushalt des Landes mit seiner schwarzen Null und ohne neue Schulden zum Maß aller Dinge für die künftige Landesentwicklung wird, es kann und darf nicht sein, dass die Kommunen damit in ihrer Handlungsfähigkeit drastisch eingeengt werden.
Kommunen, die Städte und Gemeinden, die sind das Land! Hier findet Leben, Gestaltung, Veränderung statt. Hier gedeiht Wirtschaft, Kultur und Bildung, werden Geschichte und Tradition gepflegt.
Notwendige Maßnahmen zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur, soziale Bedürfnisse der Menschen, ihr Anspruch an Lebensqualität, an saubere Städte, an Nahverkehr, an Sicherheit und Ordnung oder an Kultur fragen nicht nach einer Null im Landeshaushalt und passen sich dem in der Erwartung an. Nein, die sind da, die sind reell und vor allem berechtigt! Das muss Landespolitik akzeptieren.
Kultur hatte ich als Letztes genannt. Da bin ich wahrlich froh, dass wir 2014 mit einem unbeanstandeten Haushalt und nach nicht ganz einfachen Verhandlungen den Vertrag zur Förderung des Nordharzer Städtebundtheaters mit dem Kultusminister unterzeichnen konnten. Ich wage mir ja gar nicht auszumalen, wir müssten diese Diskussionen und Verhandlungen unter den jetzt neuen Bedingungen führen.
Aber was bedeutet das für andere Stätten der Kultur, die genauso wichtig sind in unserer Stadt. Dürfen wir hier auch nicht mehr finanzieren oder fördern, wenn kein Haushaltsausgleich trotz vorangegangenen Sparens mehr möglich ist? Ziehen dann vom Land beauftragte Beamte durch die Städte und Gemeinden und betreiben an Stelle fehlender Ratsbeschlüsse zur Schließung die Ersatzvornahme?
Nein, ich denke nicht. Da hilft ein cleverer Schachzug – selbst die bisher genehmigten Höhen der Kassenkredite werden reduziert, was heißt, auch die letzte Liquiditätsreserve wird ge- und die Kommunen erdrosselt.
Da muss sich in Magdeburg niemand wundern, wenn Sachsen-Anhalt immer weniger Menschen hat, junge Menschen abwandern. Da nützen auch keine Rückholaktionen.
Aber an dieser Stelle Schluss damit, ich will nicht jammern, aber auf eine drohende Fehlentwicklung hinzuweisen, halte ich für meine Pflicht, so wie auch viele meiner Amtskollegen. Wir haben schon schwierige Phasen überstanden und werden gemeinsam auch diese meistern.
Wir können auf erfolgreiche Stadtentwicklung 2014 zurückblicken, auf erfolgreiche Wirtschaftsförderung – ein neues Unternehmen wird in absehbarer Zeit mit einer 14 Millionen-Investition im Industriegebiet beginnen. Wir haben stabile und gut aufgestellte Unternehmen in Industrie, Handel, Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft, verfügen über leistungsfähige Unternehmen der Kommunalwirtschaft im Verband der NOSA, haben zuverlässige und moderne Dienstleister im Bereich der Medizin und Altenpflege und Angebote für Kultur, Bildung, Freizeit und Genießen sind ebenfalls reichlich vorhanden und unser größter Schatz, unser größtes Potential – die Menschen, die sich in all diesen Bereichen mit viel Wissen, Kompetenz und vor allem mit Engagement und Leidenschaft verwirklichen.
Da sind die, die das hauptberuflich als Beschäftigte oder Unternehmer tun und die vielen unzähligen ehrenamtlichen Akteure in Vereinen, Freundeskreisen, Kuratorien, in Sozialverbänden, Rettungs- und Hilfsorganisationen. Deren Wirken mit Herz und Leidenschaft ist unschätzbares Potential in Halberstadt und den Ortsteilen.
Sie alle sorgen dafür, dass Halberstadt bleibt, was es ist – ein Ort der Vielfalt, eine zukunftsfähige, lebenswerte Stadt, vor allem aber weltoffen, tolerant, mit einer Willkommenskultur, die asylsuchende hilfesuchende verfolgte und notleidende Menschen anderer Länder, Kulturen und jeglicher Religion warmherzig mit offenen Armen empfängt.
Halberstadt steht auch weiterhin in der Tradition der Deutschen Aufklärung. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und Ressentiments gegenüber anderen Kulturen und Religionen haben hier keinen Platz! Mit Blick auf die Geschehnisse in Frankreich und die PEGIDA-Bewegung in Deutschland darf ich schon heute ankündigen, dass die Stadt, die Kirchengemeinden und das Bürgerbündnis in der kommenden Woche eine „Halberstädter Erklärung“ verfassen werden. Stellvertretend danke ich besonders dem Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt und denen, die einen ersten und engeren Kontakt zu Asylsuchenden haben, den freiwilligen Helfern der Bahnhofsmission, der Liebfrauengemeinde, dem Diakonischen Werk, der Caritas, den Beschäftigten der ZAST, Taxiunternehmen, der Halberstädter Verkehrsgesellschaft und der ZORA, die jüngst für ihr interkulturelles und verbindendes Engagement mit dem Integrationspreis des Landes ausgezeichnet wurde.

Das alles macht mich froh, erfüllt mit Stolz und vor allem mit Blick auf vor uns liegende Aufgaben erfüllt es mich mit Gelassenheit und Zuversicht.

In diesem Sinne – Ihnen allen einen herzlichen Dank für das Geleistete, für Ihr Zutun und Ihre Unterstützung und uns gemeinsam ein gutes Jahr 2015!

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