Presse

Home

Cage-Geburtstag in Halberstadt

Fluxus und Zen. Mary Bauermeister, Rudolf zur Lippe
und andere gratulieren

Am Samstag den 5. September 2015 feiert das Halberstädter Orgel-Projekt den
103.Geburtstag von John Cage.

Um 15.00 Uhr beginnt das Fest mit Führungen in der Burchardi-Kirche und im
Herrenhaus mit einer kleinen Dauerausstellung „Raum für Cage … mit Cage“ des
international tätigen Kurators Georg Weckwerth.
Zu den fünf Tönen, die seit dem 5. Oktober 2013 bis zum 5. September 2020 die
ehemalige Zisterzienserinnen-Kirche zu einem magischen Klang(t)raum werden
lassen, gibt es einen Cage’schen Dreiklang von Sprache, Musik und bildender
Kunst.
Um 16.00 Uhr werden im Herrenhaus Texte von John Cage in einer
quadrophonischen Installation von dem amerikanischen Dichter Adrian Nichols
präsentiert, der auch eigene Lyrik vorträgt.
Um 18.00 Uhr wird im Halbertstädter Dom die preisgekrönte Organistin Dóra Pétery
(Budapest), die u.a. im Rahmen des letztjährigen Orgel-Meisterkurses mit Hans-Ola
Ericsson mit dem Cage-Preis ausgezeichnet worden ist, ein Orgel-Konzert mit
Kompositionen von John Cage, György Ligeti und Johann Sebastian Bach zu hören
sein.
Um 20.00 Uhr wird dann im Herrenhaus des ehemaligen Klosters die von Pascual
Jordan kuratierte Ausstellung „Fluxus und Zen“ eröffnet. Zu sehen sind Arbeiten der
international renommierten Künstlerin Mary Bauermeister, die schon in den 60er-
Jahren mit John Cage zusammengearbeitet hat und deren Werke u.a im Museum of
Modern Art in New York vertreten sind, sowie Bilder des Malers und Philosophen
Rudolf zur Lippe. Beide Künstler präsentieren u.a. neue Arbeiten, die eigens für die
Ausstellung zum Cage-Geburtstag in Halberstadt entstanden sind.

JOHN-CAGE-ORGELSTIFTUNG
HALBERSTADT
Am Kloster 1
D-38820 Halberstadt
Telfon/Fax: +49 (0) 3941/ 621620
info@aslsp.org
www.aslsp.org
Juli/August 2015
FLUXUS und ZEN
John Cage, Mary Bauermeister, Rudolf zur Lippe
sowie Ausschnitte einer filmischen Dokumentation von Johann Camut
Ausstellung vom 05.09. - 03.10.2015
Mary Bauermeister und Rudolf zur Lippe treffen sich bei John Cage. Also heißt das
Thema: Gibt es eine Verwandtschaft zwischen Fluxus und Zen? Vergleiche liegen
nahe, Gegensätze vielleicht noch mehr.
Sicher ist nicht an eine "Familienähnlichkeit" im Sinne Wittgensteins zu denken.
Beide sind zwar immer auch Lebensgesten wie die östlichen Wege. Aber die
Meditationstradition, gehört einer sehr alten Religion an, aus der sie sich entwickelt
hat. Die Kunstbewegung hat sich ebenso dank der Moderne des zwanzigsten
Jahrhunderts wie gegen sie artikuliert.
Gerade die neuen Begegnungen mit der alten und neuen Mary Bauermeister
erweisen sie als eine Schlüsselfigur des Fluxus. Sie und verwandte Künstler fordern
tatsächlich in wichtigen ihrer Aktionen und Werke einen Vergleich gegenüber der
ebenfalls in den 50er und 60er Jahren in der atlantischen Welt als aktuelle
Gegenbewegungen auftretenden Zen-Lehre heraus. Weder John Cage noch Rudolf
zur Lippe sind in irgendeiner Weise wirklich Zen-Buddhisten. Ihr künstlerisches Werk
und ihre geistige Haltung sind aber so ausdrücklich im Einfluss des Zen begründet,
dass die Frage sehr wohl berechtigt und von Bedeutung ist, ob nicht gerade bei
ihnen die Momente, die für Vergleiche zwischen Zen und Fluxus sprechen, von der
meditativen Seite deutlich werden. Zugleich sind es auf der anderen Seite, ohne jede
Erwähnung des Zen, offensichtlich immer auch Momente solcher lebenslangen, in
bestimmten Augenblicken aufbrechenden Konzentration, die uns auffallen.
Selbstverständlich kann man, im Gegensatz dazu, betonen, wie spontan
augenblickshaft bei Künstlern des Fluxus einzelne Gesten auftauchen und ganz
unerwartet, spektakulär eine provozierende Sicht auf unsere sogenannte Realität
einklagen. Das hat vielleicht allzu lange darüber getäuscht, dass bedeutende
Anlagen künstlerischer Situationen gerade einen meditativen Charakter haben,
gerade im Werk einiger der bedeutendsten Künstler, die dem Fluxus zugerechnet
werden. Erinnern wir uns der Installation "One Candle" 1982 im Frankfurter
"Portikus". Der Schein einer Flamme in dunklen Hallen. Dass dies in der Welt,
zunächst greifbar in der unmittelbaren Umgebung, sich fortsetzt, machten Paiks
vielfache Bildschirme offensichtlich auch für alle, die ans Spüren erst herangeführt
werden müssen.
Zur Eröffnung der Retrospektive auf das Werk von James Lee Byars vor der
Düsseldorfer Kunsthalle standen er und Rudolf zur Lippe einander gegenüber. Sie
ließen kleine Goldblätter brennend in die Luft aufsteigen über der Menge. Die Blicke
folgten den taumelnd emporfliegenden kleinen Blättern und ihrem zart hinauf
wehenden Rauch. Alles im Augenblick des aufleuchtenden Glanzes konzentriert. Ein
Werk - und ein Leben - strahlt im Jetzt und wirft dessen Licht auf eine Folge solcher
Momente. Die zelebrierten einen Übergang vom Sichtbaren ins Unsichtbare.
Das ist der japanischen Ästhetik in einem ihrer wichtigsten Motive sehr nah:
Augenblicke des Vergehens als Höhenflug einer Existenz zu erleben. John Cage hat
in seinem musikalischen Werk die Übergänge vom Hörbaren ins Unhörbare und vom

Unhörbaren ins Hörbare so überzeugend zum Thema gemacht, dass zwischen ihnen
eben auch das zufällig sich dem Ohr Meldende mit ihnen Raum finden kann.
Näher an den Wegen des Za-Zen, also der Praxis des Atmens und Sitzens und
Gehens ist, was vielleicht die wenigsten selbst der interessierten Zeitgenossen von
Inszenierungen und Höhepunkten des Fluxus begriffen haben: ein besonderes
Wechselverhältnis von konzentriertem Ausdruck und Kontinuität eines
Künstlerlebens. Die Frage nach den Beziehungen der drei Künstler zum Zen ist viel
konkreter, während dieser tiefere Grund unbestimmt, wenn auch spürbar tragend ist.
Das Bekenntnis bei John Cage zu der fernöstlichen Lehre ist offensichtlich. Seine
Begegnungen mit ihren Meistern, seine Aufenthalte an besonderen Zen-Orten wie
dem Ryo Angi Garten und seinen Steinen sind immer wieder zitiert worden. Von
ihnen gehen aber auch tatsächlich die Gesten wichtiger Werkgruppen aus. Gerade
die Folgen der "Sight of Silence" lebt von den Anspielungen auf den Kreis des
Pinsels als Signal für die Übungen des Meisters in der japanischen Tradition.
Vielleicht ist Mary Bauermeisters lebenslanges Zeichnen als Übung und ihre
Übungen, die unmittelbar brillianten Zeichnungen werden, viel näher an der täglichen
Praxis der traditionellen Meditation, für die der sechste Patriarch des Zen in China
ebenso das tägliche Treten des Wasserrades, wie er es vollzog, anerkannt wissen
wollte. Wie viel offensichtlicher erkennen wir es in der immer sich fortsetzenden
Folge der Striche, Striche, Striche, Steine, Steine, Steine der Künstlerin. Sind
Ausdruck ihres Bewusstseins, ohne dass sie ihr Bewusstsein aufzurufen brauchte. In
solchen Vereinigungen der Gegensätze tritt hervor, worauf andere sich eher
gedanklich berufen.
Zu den wichtigen und auffallenden Spuren, die der Meister Suzuki Daitaro durch
Nordamerika gezogen hat, gehören selbstverständlich die Begegnungen mit John
Cage. Sie haben seiner Öffnung für den Atem der Leere den Grund gegeben. Mary
Bauermeister ist mit Stockhausen in Japan bei einem Meister gewesen. Aber was die
Leere denen bedeutet, die sich gedanklich dem Zen genähert haben, ist bei ihr die
durchsichtige Fülle ihrer Häuser und Bilder aus Punkten, aus Steinen, aus Schriften
und Kristallen geworden.
Rudolf zur Lippe ist einfach ein Leben lang den Übungen des Atmens und Sitzens
gefolgt. Ohne ein Studium der Lehren des Zen hat ihn dabei in einer Weile der Arbeit
die Leere mit ihrer Bewegtheit berührt. Das ergibt sich in glücklichen Augenblicken
bei seiner Art und Weise zu malen, in dem er am Boden sitzt, wie bei jenen anderen
Übungen, und, meist von verschiedenen Seiten, den Pinsel über die Bahnen gehen
lässt. Führend und geführt zugleich. Mit dem Fluxus hat er am ehesten gemein, was
beide vermeiden oder hinter sich lassen oder, vielleicht, überwinden: Die Kunst und
den Zwang der Perspektive, des Konstruierens für die Komposition. Immer neue
Wege der Befreiung ins Gestische, das nicht Vorstellungen darstellt, vielmehr zum
Ausdruck der Eindrücke je bestimmter Energien wird.
So bestärken uns, in ihrem Aufeinandertreffen, drei Aufbrüche in Freiheiten dazu,
unsere Bewegungen dem "Offenen, der Weite", wie Paul Celan sagt,
entgegenzuführen. Dabei kann der Sinn einer Unterscheidung bewusst werden, die
in der westlichen Welt selten im Blick ist: Unbedingtheit ist nicht Bedingungslosigkeit.
Unbedingt wird unser Erleben und Wirken in unserer Befreiung von den Rücksichten
auf uns selbst. Wir setzen uns aus. Wir lernen, auch dem Unbekannten "ruhig ins
Auge zu sehen", wie Hegel es ausgedrückt hat, auch "dem Negativen". Um
bedingungslos zu denken und zu handeln, genügt eine äußere Befreiung von
konventionellen Bedingungen, die gegebene Regeln aussetzen. Das kann auch mit
Stolz oder wütend geschehen. Dabei können auch Bedingungen bloß übersehen
werden, die man doch auflösen wollte. Um sich neu einzulösen, muss Befreiung
durch alle Seiten gehen. Dafür hat vielleicht kein Künstler derart besessen und
faszinierend auf der vollkommenen Durchdringung aller Bedingungen in seinen
Aktionen bestanden wie James Lee Byars. Unvergesslich seine Aufforderung im
"perfect kiss from the Louvre". Um den stummen und absolut minimalen Augenblick
für die Menge der Anwesenden und vielleicht noch für uns heute zum Sprechen zu
bringen, hat er mit Xiane und Eric Germain durch Wochen gearbeitet an jedem Detail
der so konzentrierten Situation. Immer nähern wir uns auch dem an, wie der
raumfüllende Klang der Orgel in der Burchardi-Kirche in Halberstadt zu vernehmen
ist.


  • Mary Bauermeister, Steinzeitkreissäge, Flusssteine, Lava und Holz Ø 85 cm, 2010